Logistikwissen 20.10.2022
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duisport-Interview: Der Umbruch der Binnenschifffahrt

Kevin Gründer, Geschäftsführer der duisport agency GmbH

„Rekordsommer 2022“, so nannten ihn viele. Dabei muss ein Rekord nicht positiv sein. Denn dieser Sommer brachte hohe Temperaturen, vorhergesagter Niederschlag blieb aber oft aus. Die folgende Dürre führte unter anderem zu Niedrigständen auf Wasserstraßen. Mit Kevin Gründer, dem Geschäftsführer der duisport agency GmbH, geht TIMOCOM im Interview in die Retrospektive. Denn die Situation, die in den nächsten Sommern für alle Beteiligten an Lieferketten zur Regel werden könnte, verlangt auf Basis der jüngsten Erfahrungen nach langfristigen Lösungen.

„Die Binnenschifffahrt bekommt immer dann Aufmerksamkeit, wenn es Probleme gibt.“ In die Aussage von Kevin Gründer lassen sich zwei Tatsachen interpretieren: Die Binnenschifffahrt funktioniert und stellt einen zuverlässigen Transportweg dar. Probleme sind allerdings schnell spürbar für alle. Dies zeigte sich im Sommer 2022. Die Flusspegel sanken, z. B. am Rhein, Binnenschiffe fuhren zwar noch, konnten aber häufig nicht mehr voll beladen werden. Die Folgen: Warenstaus in den Häfen, Verspätungen in der Zustellung, Produktionseinbußen, Rohstoffmangel, Absatzrückgänge und lange Wartezeiten auf bestellte Waren vom Handel bis zum Endverbraucher.

Nun ist Herbst, es hat geregnet, die Pegelstände steigen. Ist jetzt endlich alles beim Alten? Oder sollte es etwa gar nicht so weitergehen wie bisher?

Herr Gründer, die niedrigen Wasserstände und die Schwierigkeiten für die Binnenschifffahrt haben im Sommer die Medien beherrscht und viele Menschen beschäftigt. Sie haben die Situation diesen Sommer am duisport erlebt: Wie beschreiben Sie diese für unsere Leser?

Generell musste alles umverteilt werden, zum Teil eine Schiffsladung auf drei oder vier Binnenschiffe. Aufgrund dieser Umverteilung standen in Duisburg für die Beladung der Schiffe in Richtung Seehäfen je nach Terminal (es gibt sechs wasserseitige Containerterminals in DUI) zeitweise maximal zwei Kräne zur Verfügung. Diese waren entsprechend eng getaktet, denn die Seehäfen geben die Zeitfenster vor, bedingt durch die Fahrpläne der Überseeschiffe großer Reedereien. Die Situation führte zu Anstauungen in den Seehäfen, weil aus den Terminals die Container nicht rausgingen, im Gegenteil. Die Auslastung dort ging immer weiter hoch.
Gerade für Disponenten waren die letzten Monate mit einem hohen Aufwand verbunden, vor allem im Bereich Container. Ein Container musste mehrmals angefasst werden. Es gab viele Umbuchungen und daraus folgende Verschiebungen.
Hinzu kommt die Ukraine-Krise: Für Getreide wurden sehr viele Schiffe gebucht, aber dann gab es Schwierigkeiten, die Ladung zu den Seehäfen zu bekommen. Die Kunden haben in der Konsequenz umgebucht und es fuhren Zusatzzüge oder LKW-Shuttles, wenn die Seehäfen anders nicht zu erreichen waren.

Wie ist die Lage zu vergleichen mit weniger auffälligen Vorjahren auf der einen Seite oder ähnlichen Situationen?

Die Nachwehen sind aktuell noch spürbar. Zwar sind die Temperaturen gefallen und es hat geregnet, aber genug Wasser ist nicht nachgekommen. Anfang Oktober hatten wir einen Wasserstand von 5 m, aktuell schon wieder nur 3,50 m. Diese sogenannte „Kleinwasser-Situation“ wird sich vermutlich zur Monatsmitte Oktober noch steigern. Da wir generell nicht mehr so viel Regen haben wie früher, wird ein niedrigerer Wasserstand vermutlich der Zustand sein, mit dem wir zukünftig arbeiten müssen.
Eine vergleichbare Situation hatten wir während der Dürre im Jahr 2018. Aus der Krise haben allerdings die Industriekunden viel gelernt. Hier werden Lagerbestände nun anders geplant, um Engpässe besser abfangen zu können. Das hat der diesjährige Sommer bereits gezeigt.

Welche Güter sind von den Verschiebungen vor allem betroffen? Und gibt es für sie alternative Transportwege?

Im Import haben wir in Duisburg vor allem Kohle, aber auch die sogenannte „Konsumladung“, also Möbel, Kleidung und Spielzeug. Hier wird die Entwicklung dann vor dem Hintergrund des nahenden Weihnachtsgeschäfts interessant. Im Export sind es vor allem Güter aus dem Chemie- und Automotivbereich, z. B. Ersatzteile.
Ein Plan B ist im ersten Schritt, nach Verbindungen zu Alternativhäfen zu suchen, im Süden z. B. Triest, aber auch nach Rotterdam, Antwerpen, Hamburg und Bremerhaven. Häufig fällt die Wahl auf Häfen mit einer guten Anbindung ans Schienennetz.
Aufgrund der Kleinwasser-Situationen wurden aber auch zusätzliche Zugverbindungen nach Duisburg geschaffen, beispielsweise ab Mannheim und Germersheim. Die Ladungen werden entsprechend in Duisburg vom Zug wieder aufs Schiff geladen. Der Vorteil des Duisburger Hafens ist, dass wir selbst in Niedrigwasserphasen noch verhältnismäßig hohe Wasserstände haben, so dass nur die Strecke bis zu uns überbrückt werden muss.
Ob die Ladung die Preise dafür rechtfertigt, muss am Ende natürlich der Kunde entscheiden.

Wie haben sich die am Hafen ansässigen Unternehmen an die Veränderungen angepasst?

Bei den Umschlagsunternehmen wird sich inzwischen breiter aufgestellt, dort rücken z. B. Bahnanbindungen in den Fokus. Dadurch läuft es auch in Phasen mit niedrigem Wasserstand kontinuierlicher. Allgemein sind die Unternehmen dazu übergegangen, für Puffer in ihrem Bestand zu sorgen. Sie suchen Container und lagern ihre Ware darin in den Terminals ein.
Wir beobachten außerdem, dass vor allem die Chemiebranche bei den Veränderungen den CO2-Ausstoß im Auge behält. Für diese Kunden buchen wir häufig Sonderzüge, die direkt in die Chemieparks fahren.

An solchen Veränderungen hängen auch immer persönliche Schicksale – wie gehen die Betroffenen mit der Lage um?

Die Schiffsmannschaften an sich sind eher entspannt, denn sie haben Festverträge. Anders sieht das bei den Eignern aus. Genau wie der Straßengütertransport beklagt auch die Binnenschifffahrt mangelnden Nachwuchs. Früher sprach man von der „romantischen Schifffahrt“, von einem Traditionsgewerbe, das von Generation zu Generation weitergeführt wird. Aber diese Zeiten sind längst vorbei. Die enge Taktung ist das eine, das andere sind die aktuellen Geschehnisse. Viele fragen sich „Lohnt sich das noch?“. Die Situation und der hieraus resultierende Bedarf an zusätzlichem Schiffsraum in der Ukraine hat dies noch verschärft und viele Eigner haben die Chance genutzt, ihre Schiffe zu derzeit guten Preisen zu verkaufen.
Tatsächlich ist die Containerschifffahrt recht stabil, aber die Trockenschifffahrt (Kohle, Stahl, Erze, Metallschrott etc.), also alles Großvolumige, wird mit sinkenden Wasserständen schwierig.

Dürrephasen wie in diesem Sommer wird es vermutlich auch in den nächsten Jahren geben. Welche Überlegungen stehen im Raum, die Engpässe zukünftig abzufangen?

Wir rechnen damit, dass die Binnenschiffe in die Breite gehen werden, um Tiefgang zu reduzieren. Die neuen Kräne am duisport werden in Vorbereitung darauf schon größer ausfallen. Außerdem besteht vor allem zu den Chemieparks ein sehr enger Kontakt, um die Verbindung von Zug und Schiff zu optimieren. Die Planungen gehen also stark in Richtung infrastrukturelle Anpassungen.

Was ist Ihrer Meinung der nachhaltigste Weg, die Binnenschifffahrt an die klimatischen Veränderungen anzupassen?

Zugrunde legen sollte man, dass Wasserstände unter 3 m immer mehr werden, nicht nur im Sommer. Und darauf basierend sollten dann alle Überlegungen stattfinden. Dazu gehört generell ein Umdenken für Schiffsbauten, gerade was den Tiefgang betrifft. Auch wenn wir am Rhein im Vergleich höhere Wasserstände haben, muss sich gerade im Bereich Container noch stärker auf diese Situation eingestellt werden.
Eine Herausforderung ist in der aktuellen Lage die unzureichende Kommunikation zwischen den Beteiligten, diese muss dringend enger verzahnt werden. Unsere Kundschaft möchte vorausschauender planen und setzt dies zum Teil schon um. Aber an anderer Stelle erfolgt die Planung und Abstimmung noch manuell. Das sorgt für Lücken in der Kommunikation und wirkt sich gerade in solchen Phasen auf den Transportfluss aus. Container sind fünf bis sechs Wochen unterwegs, in dieser Zeit kann viel passieren. Wichtig ist, die Liegezeit und die Zeitfenster pro Schiff nicht zu eng zu legen, das kann bei Verschiebungen sonst zu großen Problemen führen.
Generell würde ich eine ganzheitliche Betrachtung begrüßen, gerade in unserer Region, die infrastrukturell grundsätzlich gut aufgestellt ist.


Wir bedanken uns bei Herrn Gründer herzlich für das Interview und die Einblicke in die derzeitige Situation sowie für den Ausblick.

Über das Unternehmen:

Die Duisburger Hafen AG ist die Eigentums- und Managementgesellschaft des Duisburger Hafens, des größten Binnenhafens der Welt. Die duisport-Gruppe bietet für den Hafen- und Logistikstandort Full-Service-Pakete in den Bereichen Infra- und Suprastruktur inkl. Ansiedlungsmanagement. Darüber hinaus erbringen die Tochtergesellschaften logistische Dienstleistungen wie beispielsweise den Aufbau und die Optimierung von Transport- und Logistikketten, Schienengüterverkehrsleistungen, Gebäudemanagement, Kontrakt- und Verpackungslogistik.


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